Bildquelle: Shahram Mirzaie

Der Fall Özil aus Sicht einer Kommunikationsexpertin

Der Fall Mesut Özil hält Deutschland seit Wochen in Atem. Seit dem Bild mit dem türkischen Präsidenten Erdogan ist die Nation gespalten: Es gibt die, die nicht nachvollziehen können, wie ein integrierter und erfolgreicher Fußballspieler mit Vorbildfunktion neben Erdogan posieren kann. Es gibt aber auch die Extremen, die Özil für seine Wurzeln beleidigen. Und dann gibt es noch die, die Özil für sein Treffen mit dem türkischen Präsidenten feiern.

Das Bild kam zu einer denkbar ungünstigen Zeit: Kurz vor der WM und mitten im Wahlkampf Erdogans. Statt wie Ilkay Gündogan in die Offensive zu gehen und sich zu erklären schwieg Özil. Vor einigen Tagen veröffentlichte er nun aber eine Erklärung, die es in sich hatte: Er äußerte schwere Vorwürfe gegenüber dem DFB, den Medien und der Bevölkerung und verkündete seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft.

Wäre die Mannschaft während der WM weit gekommen oder hätte sie gar den Weltmeistertitel verteidigt, wer weiß, ob die Bilder-Affäre noch weitere Folgen gehabt hätte. So aber musste natürlich ein Schuldiger her, das liegt in der Natur des Menschen. Da kam der Vorfall wie gerufen. Doch wie kam es zu der Eskalation und dem großen Knall um Özils Rücktritt? Und hätte dieser mit der richtigen Kommunikation aufseiten des DFB und Özils womöglich verhindert werden können?

  1. Nachdem die Bilder in der Öffentlichkeit aufgetaucht sind, hat sich Gündogan geäußert und versucht, Schadensbegrenzung zu betreiben. Die Fotos seien aufgrund der türkischen Wurzeln entstanden und seien keine politische Botschaft. Özil hingegen schweigt. Dies war meiner Meinung nach der schwerwiegendste Fehler seinerseits – gerade in Krisensituationen muss man sich mit den richtigen Beratern eine Strategie überlegen und schnellstmöglich reagieren und kommunizieren. Fehler zugeben, um Entschuldigung bitten, sich erklären: All das wirkt menschlich und hätte die Wogen vor der WM geglättet. Nicht nur ihm, sondern auch seinen Mitspielern, die von der Situation durch Buhrufe betroffen waren, hätte ein öffentliches Statement geholfen.

 

  1. Der DFB reagiert zwar, unterschätzt die Situation aber immens. Es wird gesagt, dass Özil und Gündogan sich gegenüber der Spitze erklärt hätten und dass damit das Thema erledigt sei. Die Bevölkerung ist damit nicht zufrieden, es gibt keine direkten Konsequenzen wie z.B. den Ausschluss aus dem Kader. Sowohl Oliver Bierhoff als auch Joachim Löw betonen vor dem WM-Aus, dass es keine weiteren Reaktionen mehr auf das Thema geben würde.

 

  1. Meines Erachtens hätte der DFB schon vor der WM reagieren und viel mehr aufklären müssen, insbesondere da die Mannschaft spielerisch nicht den Eindruck eines Teams gemacht hat, zerrüttet und verunsichert schien. Aber sich erst nach der schlechten Leistung und dem WM-Aus zu äußern, war taktisch unklug. Direkt nach dem WM-Aus passiert dem DFB nämlich der wohl größte Fehler – Bierhoff lässt in einem Interview verlauten, man hätte sich überlegen sollen, auf Özil zu verzichten. Er rudert zwar zurück, doch nun stürzen sich die Medien und die Bevölkerung sowohl auf Bierhoff selbst, als auch auf Özil. Statt nun also endlich in die Offensive zu gehen und Schadensbegrenzung zu betreiben, spielt sich der DFB komplett ins Aus: Präsident Grindel fordert öffentlich eine Entschuldigung von Özil.

 

  1. Özil äußert sich Tage später. Und wie! Er lässt eine Bombe hochgehen, wie sie Fußball-Deutschland wohl schon lange nicht mehr erlebt hat. Er teilt aus gegen Fans, Kritiker, Medien, Sponsoren und den DFB. Er hatte lange Zeit, nachzudenken und sein Statement genau zu verfassen. Er muss sich mit seinem Beraterstab auseinandergesetzt haben und bewusst die Worte und die Vorwürfe gewählt haben.

 

  1. Politische, sportliche und gesellschaftliche Akteure äußern sich – erst Stunden später reagiert auch der DFB, genauso schwammig und unbeholfen wie zuvor. Sie geben zu, Fehler gemacht zu haben, bedanken sich bei Özil für seine geleistete Arbeit, weisen allerdings alle Vorwürfe rund um Rassismus zurück und verweisen stattdessen auf erfolgreiche Kampagnen für Integration. Die Reaktion des DFB zeigt mir, dass sie von Krisenmanagement keine Ahnung haben. Sie lassen zu viel stehen, geben Raum für Interpretationen und reagieren nicht darauf, dass sie Özil quasi mit offenen Augen den Haien zum Fraß zugeworfen haben.

 

Wie es weitergeht, ich bin gespannt. Ich kann Özils Reaktion in einigen Teilen nachvollziehen. Er ist nicht der erste Sportler mit Migrationshintergrund, der Rassismusvorwürfe äußert und das ist definitiv ein gesellschaftliches Problem. Die Bevölkerung ist gerade beim Thema Ausländer/Flüchtlinge/Migranten sehr zerrissen, es gibt viel Populismus und viele inakzeptable Äußerungen oder Taten. In den letzten Tagen habe ich zwei Mal erlebt, wie sich Deutsche angepöbelt, beleidigt und geprügelt haben. Ich war froh, dass es keine Ausländer waren, die die Vorurteile vieler bestätigt hätten. Denn das Misstrauen, die Vorurteile und die offene oder versteckte Feindseligkeit sind Probleme, die an mehreren Fronten angegangen werden müssen, allen voran auf Bildungs- und Politikebene. Dafür werde ich weiterarbeiten.