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Was ist Freiheit?

Zehntausende Menschen demonstrierten am Samstag in Russland für freie Wahlen und gegen Polizeigewalt. Sie gingen auf die Straße und riefen „Freiheit, Freiheit“, was eigentlich ungewöhnlich für Russland ist. Bilder wie diese, die um die Welt gehen, zeigen uns, dass „Freiheit“ nicht für alle Menschen selbstverständlich ist. Wer allerdings hierzulande von Freiheit spricht, erntet oft genug ausdruckslose Blicke. Ein Wort wie für die politische Rhetorik gemacht – denkt man. So sind wir uns dessen so sicher, dass die politische, wirtschaftliche und kulturelle Freiheit, die wir hier in Deutschland genießen, gesellschaftlich häufig als gegeben hingenommen wird.

Die Idee der Freiheit existiert bereits seit Jahrtausenden. Doch zu jeder Zeit verstanden die Menschen etwas anderes darunter. Für jeden Menschen hat Freiheit daher eine ganz persönliche Bedeutung. Grundsätzlich kann man sagen, wo kein Zwang ist, dort herrscht Freiheit. Wenn man selbst bestimmen kann, was man tut, ist man frei. Der Ursprung dieses Verständnisses liegt im Geist der Aufklärung. Freiheit bedeutet die individuelle Selbstbestimmung; frei von Zwängen und Unterdrückung das Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten zu können. Freiheit gehört demnach zu den wesentlichen Grund-und Menschenrechten jeder modernen Demokratie. Aber völlige Freiheit ist damit nicht gemeint. Rechtsvorschriften begrenzen die Freiheit des Einzelnen, denn die Freiheit endet spätestens dort, wo die Freiheit des anderen bewahrt werden muss. Um das Gemeinwohl aller Bürger langfristig sicherzustellen, sollte jeder sich schließlich an Gesetze halten.

Wenn ich außerdem an meine persönliche Freiheit denke, stoße ich auf den Begriff der geistigen Freiheit. Geistesruhe, Achtsamkeit und Klarheit – der seltene Moment mal an nichts zu denken, ist ein wahres Glücksgefühl. Die Willensfreiheit ist die Grundlage für Toleranz und Anerkennung des Andersdenkenden. Ein buddhistisches Sprichwort bringt es auf den Punkt: „die Freiheit, du selbst zu sein, mit all deinen Ecken und Kanten – dein eigenes Leben zu verwirklichen, ist die größte Freiheit überhaupt.“

Sich frei zu fühlen bedeutet seinem Herzen zu folgen und das zu tun, was man will, ohne Verpflichtungen oder Rechenschaft ablegen zu müssen. Es ist der kurze Sein-Zustand, in dem wir unser Leben in vollen Zügen genießen und sich unsere Träume und Wünsche beinahe zu Gänze erfüllen. Dieser Sein-Zustand geht weit über die materielle Ebene hinaus. Wer innere Freiheit fühlt, hat gelernt loszulassen, hohen Erwartungen zurückzustellen sowie aufgehört es jedem recht machen zu wollen. Man selbst steht plötzlich im Mittelpunkt des Lebens, frei von Wertungen, Verurteilungen und Meinungen anderer.

 

Doch damit jeder sein Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten kann, müssen auch institutionelle Rahmenbedingungen erfüllt werden. Diese Errungenschaften unserer modernen Demokratie werden jedoch zu häufig übersehen. Denn die Welt, die wir kannten, hat sich verändert. Populisten und Nationalisten haben Zulauf. Die Identifikation mit dem demokratischen Rechtsstaat ist vielfach kein Selbstläufer mehr. Die jungen Entwicklungen in den Vereinigten Staaten, in Ungarn, in Rumänien, in Polen und in Italien zeigen, dass demokratische Systeme leider keine selbsterhaltenden Überlebensgarantien mit sich bringen. Weltweit ist die Demokratisierung zum Stillstand gekommen und mehr und mehr Menschen leiden unter der Einschränkung der Menschen- und Bürgerrechte. Denken wir nur an die tausenden Flüchtlinge, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um endlich in Freiheit leben zu können – fernab von Diktaturen, in denen Menschen eingesperrt werden, wenn sie ihre Meinung sagen oder wenn sie sich für andere Bürger einsetzen, die unterdrückt werden. Wir als Europäer müssen entschlossener für mehr Freiheit, Menschen- und Bürgerrechte kämpfen.

Freiheit – eine Zusammenfassung

Freiheit ohne Kehrseiten wird es nie geben. Freiheit im 21 Jahrhundert hat viele Facetten. Freiheit ist Meinungsfreiheit, Willensfreiheit; Freiheit ist zu lieben und zu heiraten, wen man will. Freiheit ist Religionsfreiheit.
Die Freiheit, die wir in Deutschland schätzen gelernt haben, ist endlich und verletzlich. Sie erfordert eine ständige Diskussion und Achtsamkeit – wohl wissend, dass sie keine Selbstverständlichkeit ist. Jeder Einzelne von uns kann dazu beitragen sie lebendig zu halten, sie zu schützen, ja sie sogar zu verteidigen. Das hier ist mein persönlicher Aufruf an die Freiheit; bevor uns schmerzlich bewusst wird, was wirklich Freiheit ist, weil wir sie de facto verloren haben.