Warum ich gerne eine Rabenmutter war!

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In der CDU tobt hinter den Kulissen – mal wieder – der Kampf um den Parteivorsitz. Man könnte auch sagen, der Kampf der Karrieremänner. Ob Norbert Röttgen, Ralph Brinkhaus, Carsten Linnemann oder Friedrich Merz: Sie alle stellen ihre politische Karriere und ihr eigenes Vorankommen vor das Wohl ihrer Familie. Als Parteivorsitzender hat man für diese schließlich noch weniger Zeit, als ohnehin schon im zeitintensiven politischen Geschäft. Ganz zu schweigen davon, dass sie alle die meiste Zeit getrennt von Kindern und Ehefrauen in Zweitwohnungen in Berlin verbringen. Wie geht es wohl den Kindern, die von ihren Vätern zugunsten ihrer politischen Karriere derart vernachlässigt werden? Ist ihnen allen ein prestigeträchtiger Posten wirklich wichtiger als das Wohl ihrer eigenen Kinder? Ganz zu schweigen von den armen Partnerinnen, die sich jetzt neben ihrem eigenen Beruf auch noch um die Kindererziehung und den Haushalt kümmern müssen. Da könnten diese Karrieremänner und Rabenväter doch wirklich mal ihren Ehrgeiz zum Wohl ihrer Familie zurückstecken!

Klingt absurd, oder?

Für viele bin ich wohl die typische „Karrierefrau“. Warum? Ganz einfach: Ich habe es gewagt, zwei Kinder großzuziehen und dabei trotzdem meine eigenen Ziele und Träume nicht hinten anzustellen, sondern sie konsequent zu verfolgen und zu verwirklichen. Ich muss wohl nicht erklären, dass der Begriff Karrierefrau keineswegs positiv konnotiert ist. Doch warum eigentlich?

Wer von Karrierefrauen spricht, hat meist ein sehr konkretes Bild vor Augen: kaltherzige Frauen, die aus purem Egoismus für ihr eigenes berufliches Fortkommen ihre Pflichten als Mutter und Ehefrau vernachlässigen. Den Begriff „Karrieremänner“ gibt es dagegen nicht mal. Denn Männern wird es nicht vorgeworfen, Karriere zu machen ¬ es wird von ihnen erwartet! Zielstrebig, ehrgeizig, mächtig, führungsstark: All diese Eigenschaften werden Männern positiv zugeschrieben, während sie Frauen negativ als Zeichen für Rücksichtslosigkeit und mangelnden Familiensinn ausgelegt werden.

Zwar hat es selbstverständlich in den vergangenen Jahrzehnten viele emanzipatorische Fortschritte gegeben. Dass Frauen einer Berufstätigkeit nachgehen, ist mittlerweile weitgehend akzeptiert, nicht zuletzt auch, da es für die meisten Familien schlicht eine finanzielle Notwendigkeit ist. Aber WENN jemand zuhause bleibt, dann doch bitteschön die Frau! Welche Rabenmutter (dieses Wort existiert übrigens nur im Wortschatz der Deutschen) will denn nicht lieber bei ihren Kindern sein, wenn die Möglichkeit besteht? Und welcher Waschlappen kümmert sich um Wäsche und Windeln, während seine Frau in Meetings sitzt?

In Deutschland kommt im Gegensatz zu beispielsweise Ländern wie Italien oder Frankreich hinzu, dass von sogenannten Karrierefrauen erwartet wird, ihre Femininität zu verstecken, um im beruflichen Umfeld ernst genommen zu werden. Während in dort Kleider und High-Heels die Norm im Büro sind, passt man sich hierzulande der männlichen Arbeitsuniform an und wählt lieber den Hosenanzug und eine Kurzhaarfrisur. Frau will ja schließlich nicht die Gerüchteküche anheizen und sich dem Vorwurf aussetzen, sie habe ihre Position bestimmt durch eine Affäre mit dem Chef erlangt. Da ist ein allzu feminines Auftreten im Büroumfeld höchst kontraproduktiv. Die deutsche Frau erarbeitet sich Respekt und Anerkennung im Beruf durch größtmögliches Verstecken jeglicher Emotionen, übertriebene Sachlichkeit und weitgehend geschlechtsneutrales Auftreten.

Dennoch spüren auch diese Frauen die Erwartungen, die unsere Gesellschaft allen Frauen nach wie vor entgegenbringt: eine gute und liebevolle Mutter zu sein, sich um den Haushalt zu kümmern, zu kochen und dabei natürlich auch schön auszusehen. Diesen widersprüchlichen Erwartungen gerecht zu werden, ist schlicht unmöglich und viele Frauen zerbrechen früher oder später daran. Die Karrierefrau ist zugleich auch die Rabenmutter. Die Frau, die auch im Berufsleben ihre Weiblichkeit nicht versteckt, hat es schwer damit, von männlichen wie auch weiblichen Kolleg*innen ernst genommen zu werden.

Im Jahr 2021 ist es an der Zeit, diese veralteten Bilder von Geschlechterrollen endlich ad acta zu legen. Es ist beschämend, wie sehr wir Deutschen, die sich in diesen Fragen doch immer als fortschrittliches Land sehen, in Sachen Frauen in Führungspositionen hinterherhinken. Die Kanzlerschaft von Angela Merkel hat hierüber lange Zeit hinweggetäuscht. „So schlimm kann es ja in Sachen Gleichberechtigung gar nicht sein“, hieß es oft. „Wir haben doch schließlich eine Kanzlerin!“ Schaut man sich aber die Vorstände der meisten Unternehmen an, so sitzt dort zumeist allenfalls eine „Quotenfrau“. Die wirkliche Macht verteilen die alteingesessenen Männerbünde auch heute noch unter sich. Oder kennen Sie etwa ein großes Unternehmen, dessen Vorstandsetage mehrheitlich von Frauen besetzt ist?

Ich finde, wir Frauen sollten uns diese Zustände nicht länger bieten lassen. Es wird Zeit, dass wir offensiv für unsere eigenen Interessen und Bedürfnisse eintreten, ohne Angst davor, dass man dies für egoistisch halten könnte. Im Berufsleben sollten wir lernen, selbstbewusst Gehaltserhöhungen und Beförderungen einzufordern, ohne dabei das Gefühl zu haben, dass wir unsere Weiblichkeit an der Eingangstür ablegen müssen. Den männlichen Seilschaften sollten wir begegnen, indem wir selbst Bündnisse schmieden und unsere eigene Macht ausspielen. Und nicht zuletzt sollten wir uns im Privatleben Partner suchen, die uns für unsere Zielstrebigkeit und unseren Gestaltungswillen nicht verurteilen, sondern die uns genau dafür bewundern und uns dabei unterstützen – so, wie wir Frauen es seit jeher für unsere Männer getan haben.

Ich jedenfalls kann heute selbstbewusst sagen: Ich war gerne eine „Rabenmutter“. Denn genau deswegen sehen mich meine Töchter heute als Vorbild!